Kulturschock Europa

 

Weltenbummler bei den Helvetiern

Zürich empfängt uns verhalten. Nach einem 25-stündigen Flug über Singapore landen wir bei kühlem Regenwetter. Unsere Europatour startet bei Christiane und Stefan, die in dem Bergdorf Seelisberg wohnen. Grasende Kühe mit zarten Glocken wecken uns morgens. Mal ist der Blick auf die Berge vorhanden und mal decken Wolken sie ein. Christiane und Stefan sind mit dem Fahrrad vor ein paar Jahre durch Südostasien gereist und somit tauschen wir uns über die Länder, Kulturen und auch das Langzeitreisen aus. Zwischendrin besuchen wir den Vierwald-Stätter-See, den Rütli (die vermeintliche Wiege der Schweiz) und Luzern. Ein kleines Idyll haben wir uns zum Wiedereinstieg in Europa nichts ahnend ausgesucht.

In Bösingen machen wir einen Zwischenstopp bei Theres und Peter. In Kapstadt haben wir an einem verregneten Nachmittag nett miteinander geklönt. Damals sind die beiden nach Namibia weitergefahren und wir haben ihnen unsere Reiseführer fürs südliche Afrika überlassen.  Gerne könnten wir diese bei ihnen später abholen, lautete die Einladung und der folgen wir nun. Als Peter uns die Tüte mit den Reiseführern übergibt, sind wir doch angesichts der Masse und des Gewichts überrascht.


In Dortmund besuchen wir unser Patenkind Alina und fahren anschließend zu Claudia und Matthias in Bonn. Mit den Beiden haben wir ein paar Ausflüge in Thailand unternommen und hatten regelmäßig Kontakt. Bei Sonne radeln wir zu einem riesigen Flohmarkt in den Rheinauen, probieren unsere Fähigkeiten in einem Irrgarten und im Umgang mit dem Zorp aus.

 

Sonntags besuchen wir das Haus der deutschen Geschichte mit seiner Ausstellung zu der Historie der BRD und DDR seit Kriegsende bis zur Gegenwart. Fasziniert sind wir von dem Indoorcampingplatz in Bonn. Wäre das nicht auch ein Konzept für Hamburg? Momentan dürfte es angesichts der Flüchtlingskrise kaum geeignete Immobilien dafür geben, aber wer weiß.


Zuhause – vertraut und doch fremd

Geplant war ursprünglich, dass wir Luise, Silke und Maff in Bottenhorn bei Marburg besuchen, bevor wir uns nach Hamburg aufmachen. Da Ruth aber ein Vorstellungsgespräch in einer Schule hat, fahren wir für zwei Nächte nach Hamburg.

 

Es ist schön, die eigene Wohnung mit unserem neuen Balkon zu sehen. Doch mit dem Absetzen der Rucksäcke werden die Augen feucht und wir spüren beide einen Kloß im Hals. Schlagartig wird uns klar, dass unsere Langzeitreise vorbei ist. Wir haben zwar noch dreieinhalb Monate frei, aber unser großer Trip ist nun beendet. Klar, waren wir vorher gespannt, wie es ist wieder zuhause zu sein und im eigenen Bett zu schlafen. Auch finden wir beruhigend, dass wir noch ein paar Monate Zeit ohne Arbeitsalltag haben, aber dass uns die Beendigung der Langzeitreise so emotional trifft, überrascht uns unvorbereitet. Am Liebsten würden wir die Rucksäcke wieder aufsetzen und zum Flughafen fahren.

Stattdessen reisen wir mit kleinem Gepäck nach Hessen. Nach einem gemütlichen Wochenende in Bottenhorn kommen wir zum zweiten Mal in Hamburg an.


In den Jahren vor unserer Reise haben wir Bücher über andere Länder und Kulturen gelesen. Die Titel lauten oft „Kulturschock Thailand“, „Gebrauchsanweisung Myanmar“ oder ähnlich. Doch eigentlich benötigen wir eher „Kulturschock Europa“ oder „Gebrauchsanweisung für den deutschen Alltag“. Ehe wir uns versehen, überrollen uns die Aufgaben: Ruth ist auf Stellensuche, der TÜV beim alten Golf ist überfällig, Postberge wollen sondiert werden, die jährliche Zahnreinigung – und kontrolle, Steuererklärung, Balkon herrichten und weitere kleine todo´s. Und natürlich wollen Freunde uns sehen und wir sie auch.

Ehe wir uns versehen, ist der Kalender mit notwendigen oder netten Terminen voll. Während wir oft bei unserer Reise morgens überlegten, was wollen wir heute machen, hat nun der Terminkalender die Frage beantwortet.

 

Die Leichtigkeit des Reisens ist verschwunden. In dem letzten Dreivierteljahr haben wir unser gesamtes benötigtes Equipment - jeder in einem großen und kleinem Rucksack - durch die Welt geschleppt. Und einige Dinge in unserem Reisegepäck waren überflüssig. Man kann mit so wenig auskommen.

Verglichen mit unseren Rucksackleben wirkt unsere Wohnung überfrachtet. Ruth bekommt gleich am ersten Tag den Rappel und mistet ihren solide gefüllten Kleiderschrank aus. Zwei große Tüten wandern in die Kleiderspende. Das überquellende Bücherregal ist das nächste Projekt.

Leichtes Gepäck ist gesunder Luxus.

Es braucht nicht viel, um zufrieden zu sein. Prospekte und Werbung verlocken und umwerben uns oft für Dinge, die wir eigentlich nicht benötigen. Befremdlich oder leicht amüsiert (ich weiß es noch nicht) verfolgen wir, wie sich Bekannte über Mode unterhalten und Onlinekataloge durchwälzen, und fragen uns, wann uns der Konsumsog wieder erfasst.

 

Das Treiben insbesondere in der Großstadt wirkt auf uns hektisch und dicht. Schon auf der Bahnfahrt fielen die vielen eher griesgrämig als freundlich dreinblickenden Gesichter aus. Die ihren Getränkewagen durch den Zug schiebenden Mitarbeiter des Mitropateams fallen mit ihrem lächelnden und freundlichen Wesen auf. Ist es Zufall, dass sie einen Migrationshintergrund haben?

Bei allen Anforderungen, die uns bestürmen, genießen wir das schöne Wetter, Frühstück und Abendessen auf dem Balkon und das Paddeln auf der Elbe.


In die Welt zu ziehen ist aufregend; zuhause ankommen anstrengend.

 

Doch die Freude über das in den letzten Monate Erlebte, die Begegnungen mit Menschen, Tieren und Kulturen wiegen alle Alltagsbefremdlichkeiten auf.

Unsere Portemonnaies sind leer, doch die Herzen sind doppelt gefüllt!