Kambodscha - Land der Gegensätze im Schatten der Khmer Rouge

 

Schwedenwochen in Thailand

Die Gastfreundschaft unserer schwedischen Freunde Susi, Roland und ihren Familien genießen wir. Ausschlafen, mit einem selbstgemachten Frühstück auf der Terrasse gemütlich starten und schauen, was der Tag so bringt. Da wir auch diverse Male selbst kochen, fahren wir öfters auf den Markt. Begeistert sind wir von den frischen saftigen Mangos. Sie schmecken noch besser als die Flugmangos, die wir uns zuhause gelegentlich gönnen und kosten einen Bruchteil des Hamburger Angebots. Wir verschlingen witzige Thailand- und Laos-Krimis und nachmittags treffen sich alle am Swimmingpool zwecks kollektiver Abkühlung. Wir machen eindeutig Urlaub im Urlaubsjahr.

Heiligabend läuft nach dem Motto East meets West. Susis Sohn Anders, der lange als Barkeeper gearbeitet hat, offeriert zur Eröffnung Whiskey Sour. Es werden Weihnachtsmannmützen verteilt. Der schwedische Beitrag zum Buffet besteht aus Fleischklößen, Julskinka und Kartoffelauflauf. Die thailändischen Gäste produzieren Frühlingsrollen und Fishcake (sozusagen eine flache Fischbulette) und wir bringen (nicht ganz typisch deutsch) Gurken-Melonen-Minze-Salat mit. Von Karpfen Blau oder Kartoffelsalat mit Kochwürstchen haben wir Abstand genommen. Dann gibt es noch schwedisches Weihnachtsgebäck und heißen Glögg, den schwedischen Glühwein (very strange bei 30 Grad), bevor der Julklapp startet (very strange für die Thailänder). Ein geselliger und lustiger Abend.

Silvester fahren wir alle zum koreanischen Barbecue, das uns inzwischen vertraut ist. Da nicht genug Platz für alle in den Fahrzeugkabinen ist, nehmen Ruth und ich auf der Pritsche des Pickups Platz. Roland stellt uns eine gemütliche Matratze zur Verfügung und so sitzen wir am letzten Abend des alten Jahres kuschelig auf der Ladefläche und blicken in den Nachthimmel. Über uns Sterne und die ersten vorbei schwebenden Reislaternen.

Eine romantische Form, um das alte Jahr zu verabschieden. Anschließend treffen sich zwanzig Schweden und wir zwei Deutsche am Pool. Wir folgen der thailändischen Tradition und lassen Reislaternen als Zeichen der Hoffnung aufsteigen.

Mit „Happy New Year“ von ABBA wird das Neue Jahr in Schwedenmanier begrüßt.

Unser erster Ausflug im neuen Jahr führt uns in den Soi Dao Nationalpark mit seinen 12- stufigem Wasserfall. An Bäumen mit Brettwurzeln vorbei arbeiten wir uns in dem Regenwald bis zur 6. Stufe empor. Dort kühlen wir ein wenig die Füße, bevor es rechtzeitig vor Sonnenuntergang zurückgeht. Roland berichtet uns, dass schon einige sich in dem Dschungelgebiet verlaufen hätten und Suchtrupps losgeschickt werden mussten. Einzelne Personen werden schon lange vermisst. Es sollen viele Schlangen, Bären, wilde Elefanten und auch Tiger in dem Nationalpark leben….

Von den Wikingern ins Reich der Khmer

Auch unsere Weiterfahrt nach Kambodscha organisieren Susi und Roland. Sie nehmen Kontakt mit Nak auf. Er ist Kambodschaner und unterrichtet Kambodschanisch und Englisch an der hiesigen Schule. Lehrer verdienen wenig in Thailand und so benötigen viele noch einen Zusatzverdienst. Nak informiert seinen Schulleiter, dass er erst mittags zur Schule kommt, weil er morgens noch was anderes zu tun hat. Susi und Roland fahren Nak und uns zur Grenze. Wir passieren zunächst das thailändische Immigrationoffice. Direkt dahinter sitzen eine Frau und ein Mann an einem Tisch. Wir geben ihnen unsere Reisepässe und ein Foto. Sie füllen Formulare aus und dann geht es gemeinsam mit Nak zu Fuß über die Brücke nach Kambodscha. Während Nak uns den Taxifahrer, der uns die 240 Kilometer nach Siem Reap bringen wird, vorstellt, verschwindet die Frau mit unseren Pässen. Zehn Minuten später kommt sie mit diesen inklusive der Visa wieder. Nun müssen wir nur noch an den Grenzsoldaten vorbei. Der Chefoffizier checkt unsere Pässe. Den Reisepässen entnehme ich, dass er selber die Visa ausgestellt hat. Die Visa waren doppelt so teuer, wie im Reiseführer angegeben. Jedes Glied in dieser Servicekette benötigt halt seinen kleinen Nebenverdienst. This is Asia.

Drei Stunden fahren wir durch Agrarlandschaften mit Reis- und Getreidefeldern sowie vereinzeltem Fruchtanbau. Wir passieren Dörfer und kleine Städte, bevor wir uns plötzlich in Siem Reap auf einer vierspurigen Hauptstraße, die links und rechts mit Hotels flankiert ist, wiederfinden. Glücklicherweise wohnen wir in einer ruhigen Pension mit drei Zimmern und sehr netter Gastgeberin. Siem Reap ist das Tor zu Angkor und uns überrascht die Stadt mit seinen Gassen, der Ausstattung und kulinarischen Vielfalt positiv. Mittendrin ein kleiner Essenstand mit gebratenen Delikatessen, die uns an den Busbahnhöfen immer wieder begegnen: Heuschrecken, Maden, Skorpione, Vogelspinnen, Kakerlaken und kleine Schlangen. Viele Touristen scharren sich um den Stand; für ein Bild sollen die Touristen einen halben US-Dollar zahlen. Ich vermute, die Hälfte seines Umsatzes macht der Besitzer mit der digitalen Ware.


Angkor, Tomb Raider und Lara Croft

Angkor (das Khmer-Wort für Stadt) gilt mit 800 qkm als größte Tempelanlage der Welt. Zwischen 800 und 1.300 n.C. ließen die Angkor-Könige die Tempel bauen. In seiner Hochzeit lebten eine Millionen Menschen in Angkor. Zur gleichen Zeit bevölkerten lediglich 50.000 Personen London und Berlin war noch ein Dorf. Die Tempel waren aus Stein und die Häuser aus Holz, weshalb heute nur noch Tempel zu sehen sind. Mit einem ausgeklügelten Bewässerungssystem wurde die Wasserversorgung der Bevölkerung und der Reisfelder sichergestellt. Im Grunde ist Angkor hinduistisch geprägt; doch je nach Herrscher wechselte die „Staats“-Religion zwischen Hinduismus und Buddhismus. Wir treffen immer wieder auf kopflose Buddhafiguren. Die Köpfe wurden beim Wechsel zum Hinduismus abgeschlagen.

Für den Niedergang von Angkor gibt es mehrere Erklärungen. Zum einen versandeten die Wasserwege; zum anderen fehlte Holz, da die Wälder abgeholzt waren. Des Weiteren übernahmen andere Volksgruppen die Macht und verlagerten den Regierungssitz zum Beispiel nach Phnom Penh. Über Jahrhunderte hatte der Wald die Tempel versteckt, bis sie Ende des 19. Jahrhunderts entdeckt wurden. Beeindruckend wie einige Bäume Steine und Mauern umschlungen haben.

Drei Tage lang fährt uns Sirat mit seinem Tuk-Tuk, das ein Motorrad mit Anhänger ist, zu den verschiedenen Tempel.

Schon der erste fasziniert uns mit seiner herrlichen Morbidität im grünen Wald. Wir wandeln durch enge Gänge und Räume. Oft sind die Decken eingestürzt. Steine und Stehlen liegen kreuz und quer, also ob ein Riese seine antiken Legosteine nicht weggeräumt habe. Ein kleiner Nebentempel sieht aus, als ob sein Angkor-Architekt einen Bildungsurlaub in Athen gemacht habe. Ein anderer ähnelt einer keltischen Kapelle. War die Globalisierung wohl möglich schon vor über tausend Jahren stark fortgeschritten?

Spätestens nach der fünften Tempelanlage sind wir erledigt. Die cerebrale Festplatte ist gefüllt, der Arbeitsspeicher kann nichts mehr verarbeiten und der Körper transpiriert bei 33 Grad unentwegt. Lediglich der Wind der Tuk-Tuk-Fahrt kühlt ein wenig: Air Condition im wahrsten Sinne des Wortes.

Der Film „Lara Croft - Tomb Raider“ machte Angkor und Angelina Jolie weltberühmt.

In der Regel wird von Angkor Wat gesprochen; Angkor Wat ist die größte Tempelanlage innerhalb der Tempellandschaft Angkor. Wenn Menschen sagen, sie besuchen Angkor Wat meinen sie oft fälschlicherweise alle Tempel.

Trotz der eingestürzter Decken, umgestürzter Mauern und den wild umher liegenden Steinen passt der Begriff Ruine nicht. Es weht noch eine Prise Vitalität durch die luftigen Gemäuer. Der grüne Dschungel und das buddhistische Leben in den Tempeln verstärkt dieses Gefühl.


Kinderalltag

Zwischen und in den Tempeln versuchen Kinder Postkarten, Armbänder und Magnete mit Motiven zu verkaufen. Mit monotoner Stimme treten sie an uns heran.

Meist frage ich sie, weshalb sie heute nicht in der Schule sind. Dann entsteht ein kurzes Gespräch und der Verkauf wird nebensächlich. Ein ungefähr 8-jähriges Mädchen antwortet mir mittags, dass sie von 8 - 11.00 Uhr die Schule besucht habe. Mich interessiert, wo sie Englisch gelernt habe. Von den Touristen antwortet sie. Sie will wissen, woher ich komme und sagt dann ein paar Worte auf Deutsch. Ich frage, welche Sprachen sie noch spreche. Sie nennt die Sprachen und ich zähle mit. Beeindruckt sage ich ihr, dass ich nur drei Sprachen beherrsche, sie aber 13. Da lächelt sie ein wenig stolz.

Ich modifiziere meine Taktik und bringe die Kinder damit aus ihrem Verkaufskonzept. Julklapp sei dank, denn da habe ich eine Tüte bunter Luftballons gewonnen!!!

Zwei Jungen bieten mir Postkarten an. Ich sage nein, zücke zwei Luftballons und frage, ob sie diese geschenkt haben wollen. Ein schnelles von Herzen kommendes „Yes“ ist die Antwort; die Verkäufer in ihnen verschwinden für kurze Zeit und ich blicke in strahlende Kinderaugen. Ein weiterer kleiner mobiler Einzelhandelskaufmann stürmt heran und fragt auch nach einem Ballon. Ebenso wie die anderen beiden strahlt er über beide Backen.

Abends essen wir in einem Streetrestaurant. Ein geschätzt Elfjähriger bringt uns die Karte und nimmt die Bestellung auf. Papa serviert am Nachbartisch, Mutti steht am Herd und irgendwann kocht auch Papa. Der Junge serviert Getränke und seine etwas jüngere Schwester kassiert ab.

Wahrlich ein Familienunternehmen. Tagsüber sind die Kinder in der Schule und abends helfen sie im Restaurant. Eine harte Kindheit mit wenig Spielen, dennoch bewundern wir, wie die Eltern zwischendrin sich fürsorglich den Kindern zu wenden.

 

Die Zahl der Waisenhäuser nimmt in Kambodscha immer mehr zu. Nicht unbedingt weil, es mehr Waisen gibt; nein, weil das Geschäft mit Waisenhäusern sich lohnt! Kinderleid erhöht die Spendenbereitschaft vieler Menschen in der betuchteren Welt. Kriminelle Organisation rekrutieren Kinder aus armen Familien und bieten den Eltern an, dass sie für deren Kinder im Waisenhaus sorgen. Allerdings weisen Experten darauf hin, dass die Versorgung unzulänglich ist. Als Touristenattraktion werden diese Kinder in den Waisenhäusern vorgeführt, in der Absicht, dass die Geldbörse sich weiter öffnet. Leidtragende sind zum einen die Kinder, die von ihren Eltern und Geschwistern getrennt sind, und zum anderen die Organisationen, die sich wirklich um Waisenkinder kümmern. Die Organisation „ChildSafe movement“ klärt Touristen über dieses Unwesen auf und setzt sich für arme Familien ein.


Premiere nach über 25 gemeinsamen Jahren.

Vor vier Monaten waren wir zuletzt beim Friseur. Nach meiner Erfahrung mit dem Optiker in Soi Dao habe ich Abstand davon genommen, einem nicht englisch sprechendem Friseur meine Haarpracht auszuliefern. In Siem Reap bedient uns in einem Restaurant der britische Besitzer. Sein Kurzhaarschnitt verrät, dass er sich vor Kurzem einer Fachkraft anvertraut hat. Ich stelle ihm zwei Fragen. Ob er uns ein Glas neuseeländischen Sauvignon blanc bringen könne und ob er einen Friseur empfehlen kann. Zwei Tage später machen wir uns erstmalig nach über 25 Jahren Zusammenleben gemeinsam auf den Weg zum Friseur. Wir sind an diesem Vormittag die einzigen Kunden der bretonische Friseurin im „L´Atelier“, die uns mit ihrer Angestellten umsorgt. Ruths Frisur assimiliert, da sie in Asienstil geföhnt wird. Das Ergebnis ist beachtlich.


Die Welt ist ein Dorf.

Nach fünf Tagen in Siem Reap fahren wir nach Battambang der zweitgrößten Stadt in Kambodscha, die für ihre französischen Kolonialbauten bekannt ist. Glücklicherweise läuft dieses Mal im Bus kein Videoprogramm, dass einen mit Kungfu- oder Horrofilmen laut beschallt; egal ob man will oder nicht. Der Bus ist ausgebucht. Einige Kambodschaner sitzen teils mit ihren Kindern auf dem Schoss auf kleinen Plastikhockern im Mittelgang. Im Bus neben uns sitzt ein junger Deutscher, der letzten Sommer Abi gemacht hat und jetzt ein Sozialpraktikum als Hilfslehrer in einer NGO-Schule macht. Henrik unterrichtet Englisch, Deutsch und Fussball. Die Schüler sind wissbegierig und lernen gerne Fremdsprachen. Je besser man sie beherrscht, umsomehr Geld kann man im Tourismus verdienen. Viele wollen als Touristenführer arbeiten, da der Job für hiesige Verhältnisse gut bezahlt ist. Wir sprechen über das Land, das Schulsystem, Politik und die Geschichte. Henrik erzählt, dass die Kambodschaner nicht über das Pol-Pot-Regime reden. In annähernd jeder Familie hat es Opfer gegeben. Und wenn nicht, so standen diese Familien wohl auf der Täterseite. Ein großes Tabu. Lediglich die vier große Führer wurden angeklagt.

Irgendwann im Gespräch erfahren wir, dass Henrik aus Hamburg kommt. Und dann stellen Henrik und ich fest, dass wir beide seine Mutter kennen. Henrik naturgegeben seit Geburt und ich habe mit ihr beruflich immer wieder zu tun. Die Welt ist ein Dorf.

Offiziell ist Kambodscha eine konstitutionelle Monarchie mit demokratischem Mehrparteiensystem. In der Regierung sitzen viele frühere Mitglied der Roten Khmer. Die Meinungs- und Medienfreiheit ist eingeschränkt und Korruption ist allgegenwärtig. Tranparency International führt Kambodscha auf seinem Corruptions Perceptions Index im Jahre 2014 auf Platz 156 von 175. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist weit. In Phnom Penh fahren viele teure SUV´s. Im Stau stehen wir überraschend vor dem Showroom von Rolls Royce. Am Tag drauf sehen wir auch einen in einer Straße. Ist diese Nobelkarosse wohlmöglich ein Indiz für Korruption in einem Land? Den Gedanken verfolgen wir lieber nicht weiter, denn wir wollen dem britischen Königshaus nichts unterstellen.

Am Flughafen steht eine Box der Polizei, in die man Verbesserungsvorschläge werfen soll. Die Formulare gibt es nicht. Zu unsere Überraschung sehen wir, dass die Box stattdessen mit Geldscheinen gefüllt ist. Ich glaube kaum, dass es ein treffeneres Bild für die Korruption in einem Land geben kann.


Mr. So Phorn und sein Tuk-Tuk

- Ein Kambodscha-Intensivkurs in 8 Stunden.

 

Mr. So Phorn holt uns mit seinem Tuk-Tuk am Busbahnhof ab. Wir verabreden uns für eine guide tour am nächsten Tag. Er reicht uns seine Visitenkarte: Ein Post-It, auf dem er handschriftlich seinen Namen und Mobilphone-Nummer geschrieben hat.

Zuerst zeigt er uns die Sticky Rice Herstellung. Reis, Salz, Zucker und Kokosmilch werden in ein Bambusrohr gefüllt und zwei Stunden über Kohlefeuer gegrillt. Dann wird die äußere Rinde abgeschlagen. Es schmeckt ein wenig wie gegrillter Milchreis.

Weiter geht es zu einer Familie, die Reispapier für Frühlingsrollen herstellt. Die achtjährige Tochter macht gerade ihre Hausaufgaben und Ruth schaut ihr naturgemäß interessiert zu.

Wir passieren Trockenfisch- und Fischsaucenherstellung und sind froh, dass wir angesichts der intensiven Duftwolke nicht anhalten.

Auch schauen wir kurz bei einem Weingut vorbei. Doch heute ist keine Weinprobe, da der Sohn des Hauses heiratet. In der Trockenzeit, wenn weniger Arbeiten in der Landwirtschaft anstehen, ist Zeit zum Heiraten. Wir fahren im Laufe des Tages sicher an einem Dutzend Hochzeitsfeiern vorbei. Hochzeiten in Kambodascha zeichnen sich dadurch aus, dass die Musik sehr laut ist und der Klang null HIFI-Qualität hat. Das Scheppern der Boxen hören wir schon lange bevor wir das Festzelt sehen.

Mr. So Phorn fährt uns zu einem kleinen Tempel, der fünf Türme hat und ein wenig wie eine Bonsai-Ausgabe von Angkor Wat wirkt. Die Roten Khmer haben Gefangene gezwungen, Teile des Tempels zu zerstören und die Steine zurecht zu hauen, um aus ihnen einen Staudamm zu bauen.

Neben einem Kloster liegt eine Gedenkstätte. Die Roten Khmer hatten den Tempel zum Gefängnis umgewandelt. Die benachbarte Wiese war das Killingfield. Hier töteten die Roten Khmer 10.008 Menschen und warfen sie in ein Massengrab.

Wenn jemand verdächtig war, wurde er und seine gesamte Familie getötet, damit keiner Rache nehmen konnte. Intellektuelle wurden ermordet. Wenn Menschen eine Brille trugen, galten sie bereits als Intellektuelle. Die Dauer der Herrschschaft betrug 3 Jahre, 8 Monate, 20 Tage; wir rechnen grob in Jahren und sprechen von 12 Jahren Nazidikaktatur. Die Menschen hier wissen die Dauer auf den Tag genau.

Die Gedenkstätte besteht aus einem quadratischen Gebäude, hinter dessen Fenstern Knochen und Schädel von getöteten Menschen aufgestapelt sind. Ein unwirklicher Anblick, dessen Dimension wir nicht erfassen können.

Wir fragen Mr. So Phorn nach seinen Erinnerungen an diese Zeit und er erzählt uns seine Lebensgeschichte. Von seiner engsten Familie ist keiner von den Roten Khmer verfolgt und getötet worden. Als 10-jähriger wurde er aus seiner Familie deportiert. Die Roten Khmer trennten generell die Kinder ab dem 3. Lebensjahr von ihren Familien. Mr. So Phorn musste auf einer Farm als Kuhhirte arbeiten. Seine Eltern waren gute Handwerker und ihre Fähigkeiten wurden benötigt. Seine Mutter holte ihn von der Farm als die Vietnamesische Armee einmaschierte.

Als Weiteres besuchen wir eine Flughundekolonie. Diese riesigen Fledermäuse hängen in Bäumen. Im Gegensatz zu ihren kleinen Artgenossen sind sie Vegetarier, die sich von Früchten ernähren. Wir fahren durch eine schöne ländliche Gegend zu einem Tempelberg. 364 steile Stufen schwitzen wir uns zum Tempel hoch. Ein schönes Plateau mit Tempel belohnt unser Engagement.

Mr. So Phorn fährt mit uns zu einem weiteren Berg, von dem wir eine tolle Aussicht über die flache Landschaft mit Reisfeldern und Bergen, die sich aus der Ebene erheben, haben.

Am Berg gibt es neben einem Tempel eine Höhle, die ca. 25 m tief ist und in der Decke ein Loch hat: Die Killing cave. Die Roten Khmer nutzten den Tempel als „Zwischenlager“. Immer wenn neue Gefangene kamen, wurden andere von oben in die Höhle geworfen.

Über 8000 Menschen wurden hier ermordet, Frauen, Kinder, Männer. Wir gehen in die halboffene Höhle. Der Boden ist gefliest und ein goldener Buddha liegt friedlich an der Seite. Die Toten wurden nach der Pol-Pot-Ära begraben. Mr. So Phorn führt uns zu einem offenen Schrein an der rechten Seite der Höhle. In dieser kleinen Stupa sind Knochen und Schädel von Ermordeten aufgestapelt. Zur Erinnerung haben Menschen diese Stupa gebaut und Mönche haben die Knochen gesegnet.

Aus dem Biologieunterricht kennt man die Totenköpfe noch. Doch die Knochen und Schädel der Opfer der Roten Khmer in einem Meter Entfernung anzusehen, sie theoretisch anfassen zu können, verschlägt uns nicht nur die Sprache. Es wirkt so unfassbar und ist zugleich so real. Erschreckend wie grausam Menschen sein können. Entgegen anderen Touristen machen wir von diesem Schrein kein Foto; es fühlt sich für uns beide unpassend und unwürdig an. Morgens bei der Gedenkstätte befanden sich die Knochen und Schädel hinter Glas und wir hatten einen großen Abstand. Doch hier in der Höhle ist die irdische Hölle zum Greifen nah, direkt und ungeschützt.

Nachdem wir die Höhle ein paar hundert Meter hinter uns gelassen haben, erzählt Mr. So Phorn, dass sein Onkel auch in dieser Höhle ermordet wurde. Er war als Landarbeiter eingesetzt. Es herrschte Hunger und bei der Reisernte hat er eine Handvoll Reis in seiner Hemdtasche versteckt. Er wurde erwischt und ermordet.

Mr. So Phorn hatte als Kind selbst einen kleinen Kürbis auf Grund von Hunger genommen. Er wurde geschlagen und eine Nacht an einen Baum gefesselt.

 

Als wir vom Berg den Sonnenuntergang betrachten, zeigt Mr. So Phorn auf eine Bergkette in der Ferne. Dort nahe der thailändischen Grenze war er 1989 und 1990 als Soldat stationiert und war gegen die Guerilla-Truppen der Roten Khmer eingesetzt. Ein Freund von ihm wurde bei einem Schusswechsel schwer verletzt und ist dann in der Hängematte von Mr. So Phorn gestorben. Wir fragen ihn, ob er Hass gegen die Roten Khmer empfinde. Nein, er wisse ja nicht, wer seinen Onkel umgebracht hat. Es fehlte ein Gesicht und außerdem seien die Soldaten der Roten Khmer nur Befehlsempfänger gewesen.

Wir sind nun Stunden mit ihm unterwegs, haben ihn als freundlichen, liebenswürdigen Menschen kennengelernt. Er wirkt weder schwermütig noch hasserfüllt. 3 Millionen Menschen wurden in den 3 Jahren, 8 Monaten und 20 Tagen von Pol Pots Truppen ermordet. Die Vergangenheit akzeptieren, hinter sich liegen lassen, nun optimistisch vorwärts schauen und weiterleben, scheint ein Weg zu sein, den einige in Kambodscha versuchen zu gehen.

Mr. So Phorn erzählt, dass in der Highschool von seinem Sohn inzwischen über das Pol-Pot-Regime gesprochen wird. Bis es zur Aufarbeitung des Tausendjährigen Reichs in Deutschland kam, vergingen auch Jahrzehnte.

Zum Abschluss fährt er mit uns zur Fledermaushöhle. Jeden Abend nach Sonnenuntergang fliegen aus einer Höhle Millionen von Fledermäuse hinaus und ziehen in Schwärmen übers Land. Ein fesselndes Schauspiel. Nach der beklemmenden Erfahrung in der Killing cave wirkt der Aufbruch der Fledermäuse wie ein kleines Zeichen der Hoffnung.

Was für ein intensiver Tag mit vielen verschieden, leichten und heftigen Eindrücken!

Der Besuch des Killingfields und der Killing cave wirken nach. Mr. So Phorn erlebten wir als lebendiges Geschichtsbuch, das Alltag, Gegenwart und Vergangenheit miteinander verbindet.

 

Auf unserer Reise haben wir einige spannende und beeinduckende Momente erlebt. Doch so geballt haben wir die Normalitäten des alltäglichen Lebens und die Heftigkeit der Geschichte noch nicht erlebt. Auch Tage danach denken wir immer wieder über diesen Tag nach. Wir merken, es braucht Zeit dieses zu verarbeiten.


Sihanoukville und Robinson-Island

Ein Mammuttag steht an. Es geht es in 12 Stunden mit dem Minibus nach Sihanoukville. In Phnom Penh steigen wir um. Auf der Strecke sehen wir Tausende von Frauen, die in den großen Bekleidungs- Schuh- und Handtaschenfabriken arbeiten. Die Produkte können wir in den heimatlichen Shoppingsmalls sicherlich erwerben.

Milde formuliert kann man den Fahrstil des Fahrers progressiv nennen. Er überholt mutig; vertraut darauf, das andere Fahrzeuge freiwillig den zwei Meter breiten Schotterstreifen aufsuchen, um einen Blechkontakt zu verhindern. Wir sind froh, als wir heil ankommen. Am Folgetag wollen wir für die Rückfahrt nach Phnom Penh Sitzplätze in einem normalen Bus, die als sicherer gelten, buchen. Die Busgesellschaft hat leider nur Minibus. Dankend lehnen wir ab, was für die Angestellte nicht nachvollziehbar ist, da Minibusse schneller die Orte verbinden. Asiaten üben kaum Kritik und wenn dann durch die Blume. Ich stamme aus einem Kulturkreis, der direkter ist. Also sage ich ihr, dass der Fahrer uns oft in Angst versetzt hat. Buddhisten haben viele Leben, wir sind Christen und haben nur ein Leben. Sie lächelt verlegen. Ob sie das Feedback weitergibt?

Auf Empfehlung von Claudia übernachten wir zwei Nächte im Ausbildungshotel von Don Bosco in Sihanoukville. 200 benachteiligte junge Menschen werden hier im Hotelgewerbe ausgebildet. Der Leiter selbst ist nicht vor Ort, aber die beiden Voluntäre Michelle und Peter. Beide sind grandios im Umgang mit ihren Azubis. Sie organisieren für uns einen Rundgang und drei Azubis führen uns durchs Hotel und die Schule. Auf diese Weise trainieren sie nebenbei ihr Englisch, meint Michelle. Sie und Peter kommen aus Großbritanien und haben u.a. in Südafrika, der Karibik, Venezuela und Zürich gearbeitet. Bei einem Urlaub vor ein paar Jahren sind sie hier hängen geblieben und bilden nun ehrenamtlich Azubis aus.

Sihanoukville liegt am Golf von Thailand, ist unspektakulär und hat einen netten Strand mit ca. 15 Beachclubs; vor ein paar Jahren waren es nur 3. Der Tourismus explodiert hier; jeden Tag sehen wir ein Kreuzfahrtschiff im Hafen.

 

Mit dem Speedboat düsen wir nach Koh Rong, einer Insel 20 Kilometer vor der Küste. Vom Hauptdorf soll es mit dem Longtailboat zum Coconutbeach weitergehen. Bei kräftigen Wellengang müssen wir von einem baufälligen Holzsteg auf ein schaukelndes Boot klettern und von diesem auf das nächste Boot. Bei 4-5 Windstärken stampft das Boot mit sieben Passagieren zum Beach. Wir beziehen eine rustikale Hütte mit Terrasse und Meerblick. Der weiße Sand ist fein und leicht wie Sägemehl und knirscht unter den Füßen. Unser Gastgeber Robbi geht jeden Tag über den Strand, entsorgt Plastik- und Styropormüll und zaubert so einen sauberen Traumstrand im Gegensatz zu Sihanoukvilles Sandmeile.

Ruth und ich schnorcheln im klaren Wasser und begegnen Fischen, Korallen und Krabben. Robbie und seine Familie umsorgen alle. Es gibt kein Internet und nur schwachen Handyempfang, doch das stört keinen. Abends treffen sich die meisten im Restaurant. Robbie stellt Jenga auf den Tisch und schon spielen wir mit zwei Kanadierinnen und einem Schotten. Später versammelt Robbie zehn Leute zum Kartenspiel. Dann holt er Reislampen und jeder lässt eine steigen. An einem anderen Abend fragt er, ob wir leuchtendes Plankton sehen wollen. Logo! Und damit auch keine Lichtquelle stört, schaltet er den Strom in seiner Bungalowanlage aus. Die anderen Gäste sitzen im Dunkeln und wir schwimmen im glitzernden Meer. Über uns die Sterne und um uns das Funkeln im Wasser, als ob das Meer den Sternenhimmel spiegeln wolle.

 

Mit dem Slowboat vom benachbarten Fischerdorf zurück zur Küste. Wir sitzen mit unseren Rucksäcken zwischen Einheimischen auf dem Boden; einige kloppen unüberhörbar Karten. Ein gemütlicher Abschied von der Insel, die noch ein kleines Paradies ist. Doch es existieren schon zahlreiche Baupläne für Hotelanlagen und ein Flughafen ist auch angedacht. Kambodscha eifert Thailand nach.


Phnom Penh – Der Horror der Khmer Rouge

Am 17. April 1975 wurde Phnom Penh von den Truppen der Khmer Rouge erobert. Innerhalb von drei Tagen mussten alle Bewohner die Stadt verlassen. Sie sollten auf dem Land arbeiten. Wir besuchen Choeung Ek, die berühmten Killing Fields von Phnom Penh; landesweit gab es über 300. In den 3 Jahren, 8 Monaten und 20 Tagen ermordeten die Khmer Rouge 3 Millionen von 8 Millionen Kambodschanern. Mit Audioguide werden wir über das Gelände geleitet. Ein beklemmendes Gefühl. 129 Massengräber gibt es und bis zu 20.000 Menschen wurden hier getötet. 86 Gräber wurden ausgegraben und die 8.985 gefundenen Schädel sind in einer Stupa sichtbar.

 

Wir sehen Parallelen zum Nationalsozialismus und weiteren Genoziden. Unfassbar, zu welchen brutalen Taten Menschen fähig sind und wie ideologisch verblendet sie ihre Ziele folgen. Erschreckend wie Menschen auf Grund ihrer politischen oder religiösen Überzeugung meinen über andere und deren Lebensweise radikal zu richten. Sollte die Freiheit des Einzelnen nicht spätestens dort aufhören, wo sie die des anderen mit Gewalt einschränkt?

 

Beklommen fahren wir weiter zum nächsten Ort des Grauens: dem Gefängnis S-21, auch Tuol-Sleng-Genozid-Museum genannt. Direkt nach der Eroberung der Stadt wandelten die Khmer Rouge diese Hochschule in ein Gefängnis um. Kinder, Frauen, Männer wurden nicht nur inhaftiert, sondern auch verhört und gefoltert. Die Gebäude und die Ausstellung sind eindrücklich und erschütternd. Schätzungen gehen davon aus, dass in der Pol-Pot-Diktatur zwischen 14.000 und 20.000 Menschen in S-21 inhaftiert waren. Lediglich sieben überlebten.

Wir verlassen Kambodascha, dieses spannend widersprüchliche Land zwischen Arm und Reich, korrupt und freundlich, beeindruckenden Angkor-Bauten und unmenschlichen Khmer-Rouge-Terror, Trauma und Zuversicht.