Gastfreundschaft pur in Melbourne und Neuseeland 

 

Auf dem Weg nach Neuseeland gönnen wir uns drei Nächte in Melbourne. Geduld ist bei der Einreise erforderlich. Annähernd zwei Stunden benötigen wir, um Passkontrolle und Zoll zu passieren. Völlig angetan sind wir von der Freundlichkeit der Australier. Bereits bei der Fahrt mit dem Shuttle-Bus in die Innenstadt erleben wir diese. Die Busfahrer fragen, wohin wir wollen und helfen beim Ein- und Ausladen des Gepäcks. Weiter geht es mit dem kostenlosen Hotel-Shuttle. Auch hier packen die Fahrer an und zeigen einem den Weg. Hektik ist nicht wahrzunehmen.

Unser Appartement liegt nahe der Universität und wir genießen das studentische Treiben in den Straßen, Cafés, Pubs und kleinen Läden. Von Thaifood switchen wir zu Pizza, Pasta, Falafel sowie Fish&Chips. Wir besuchen die Innenstadt, ein Filmmuseum, die Hafencity und strommern durch den schönen Royal Garden.

Abschließend kapern wir ein paar Shoppingsmalls und ergattern jeder eine Jeans. Ruth ist erfolgreicher und schnappt sich noch zwei Kleider.


Neuseeländische Willkommenskultur

Die Zeit in Melbourne verfliegt viel zu schnell und eh wir uns versehen, sitzen wir im Flieger nach Christchurch, wo wir eine Art Couchsurfing starten.

Als Bibbi, die wir in Khao Lak kennen- und schätzen lernten, im November erfuhr, dass wir beide in der Behindertenhilfe arbeiten und nach Christchurch reisen werden, schlug sie vor, dass wir ihre Freundin Lyn, mit der sie Mitte der Neunziger in Berlin für ein halbes Jahr zusammengewohnt hat, besuchen, da sie Tanzprojekte mit behinderten Menschen durchführt; und eh wir uns versahen, kam von Lyn eine Einladung.
Ursprünglich wollten wir in Christchurch einen Wagen übernehmen und direkt weiterreisen. Doch nun ziehen wir für eine Woche bei einer uns unbekannten Familie ein; ein neues Abenteuer für uns. Lyn, ihr Mann Cam und ihr achtjähriger Sohn Joe sind die Gastfreundlichkeit in Person und sofort fühlen wir uns heimisch. Am nächsten Morgen geht es mit Lyn in eine staatliche Schule, die zwei Klassen für behinderte Schüler hat. Gemeinsam mit den behinderten Schülern und den Lehrern verbringen wir tanzend den Vormittag.

Die nächsten zwei Tage besuchen wir die Innenstadt und sind ein wenig entsetzt. 2003 waren wir in der City und in der Kathedrale. Im Februar 2011 bebte die Erde für 45 Sekunden. Der Turm und die Fassade der Kathedrale sowie ein Hochhaus stürzten ein. 185 Menschen starben. Zu ihrer Erinnerung wurden auf einen Platz für jeden ein weißer Stuhl mit je einer roten Nelke platziert. Viele weitere Gebäude waren einsturzgefährdet und wurden abgerissen, folglich sehen wir viele leere Plätze und Baustellen in der Innenstadt. Doch die Neuseeländer improvisieren schnell. Eine bunte Shopping-Straße wurde aus Container gebaut. Cam und Lyn berichten, dass das Beben von 2010 und vor allem das 2011 die Menschen belastet und verängstigt hat. 13.000 Menschen sind nach dem zweiten Beben aus Christchurch weggezogen.

 Am Montag hospitieren wir in drei verschiedenen Dance-class, die Lyn außerhalb der Schule durchführt. Sehr unterschiedliche Gruppen mit einer bunten Vielfalt von Menschen, die Lyn mit ihrer freundlichen Dynamik und ihrem begeisternden Wesen anleitet. Gänzlich beeindruckt sind wir am dritten Tag, als wir erleben wie sie behinderte Menschen anleitet als Trainee, selbst behinderte Tanzgruppen zu leiten, mit Lyn und ihrer Freundin Renee im Hintergrund. Alles wird beeindruckend professionell vor- und nachbereitet.

 

Samstags fahren Joe, Cam und Lyn mit uns zum Schwimmen in der Bucht von Lyttelton. Abends geht es essen in einer Brauerei. Die einzige Schwierigkeit bei ihrer Gastfreundschaft ist, dass sie beim Bezahlen immer schneller sind als wir, obwohl wir vereinbart haben, dass unsere Kreditkarte das Essen refinanziert, war Cam schneller.

Sonntags schauen wir uns ein Freilichtmuseum, das die Geschichte der Siedler widerspiegelt, an, bevor es zu Lyns Mutter geht. Auch hier erleben wir eine offene unkomplizierte Willkommenskultur.


Und plötzlich wird man durchgeschüttelt

Am Montag morgen um 3.32 erleben wir eine für uns bisher unbekannte Seite Neuseelands. Im Schlaf nehmen wir ein dumpfes, sehr tiefes Dröhnen, das ein wenig an eine U-Bahn erinnerte wahr. Doch noch eh wir es realisieren, gibt es einen heftigen Schlag, als ob ein Riese seitlich gegen das Fundament getreten habe. Anschließend ein fünf Sekunden langes Zittern und dann ist es ruhig. Um 6.15 nahm Ruth noch ein weiteren kleinen „shake“ wahr. Das Beben hatte Stärke 4.3, das Epizentrum war 4 Kilometer von uns entfernt und in 5 Kilometer Tiefe. Die Stärke war nicht so doll, teilten uns Lyn und Cam mit. Gefährlich ist, wenn Erdbeben so wie dieses, nah an der Erdoberfläche ihr Epizentrum haben. Schäden gab es diesmal keine in Christchurch, trotzdem war es logischerweise tagsüber Gesprächsthema in der Stadt. Christchurch liegt auf einer kleinen Falte, die erst durch das erste große Beben in 2010 als Gefahr erkannt wurde. Bereits vor zwei Wochen hatte es ein Beben gegeben. Keiner kann sagen, wann und wo es das nächste Mal bebt. Es ist eine unheimliche Erfahrung, wenn die Boden unter einem sich unkontrolliert bewegt und vibriert. Auch wir merken, dass sich unsere Wahrnehmung geändert hat. Die Möglichkeit und Gefahr eines Erdbebens ist mit einem Mal im Hirn präsent. Auf unserer Reise haben wir häufig festgestellt, wie privilegiert wir in Hamburg leben. Nun kommt eine neue Komponente hinzu: Als Norddeutsche leben wir trotz heftiger Orkane und Sturmfluten auch unter dem Aspekt der Naturgewalten in der Komfortzone: Orkane sind vorhersagbar, Erdbeben nicht.

Wer in Christchurch wohnt, muss mit der Gefahr leben und der Alltag geht weiter. Und so laufen wir weiter in Lyn´s, Cam´s und Joe´s Alltag mit. Tagsüber sind wir meist mit Lyn unterwegs, abends schlürfen wir schnackend zur Viert ein Weinchen, Joe zeigt uns sein Lego-Equipment und lädt mich zum Mountainbiken ein. Schwitzend kämpfen wir uns einige Pfade empor und brausen diese anschließend runter. Im Garten trainieren Joe und ich die Fahrradbeherrschung auf selbstgebauten Rampen.

Obwohl uns nun unser Campervan und beeindruckende Landschaften erwarten, verlassen wir unser neues Zuhause mit Wehmut. Wir fühlen uns sauwohl und heimisch bei den Dreien. Wie blöd, dass 20.000 Kilometer zwischen uns liegen und dass man sich nicht mal eben zum gemeinsamen Weinabend durch Scotty beamen lassen kann.


 On the road mit dem Sleepervan

 Wir übernehmen nun unseren Sleepervan. Innen können wir den Wagen für die Nacht zum Schlafplatz umwandeln und unter der Heckklappe mit einer Flamme kochen. Wir haben einen Prototyp, dessen Innenausbau einen Tag vor Übernahme fertiggestellt wurde. Im Gegensatz zu anderen Sleepervans können in dem drei Leute reisen (wobei die Liegefläche dann wahrscheinlich Ölsardinendosen-Flair verbreiten würde).

Unser Vermieter besitzt ein zweimotoriges Leichtflugzeug und bietet an, dass ich gegen Beteiligung am Spritgeld am nächsten Morgen mit ihm über die Southern Alps und Fjorde fliege. Natürlich sage ich zu. Allerdings stellen wir am nächsten Morgen um 7.40 am Flugfeld fest, dass der Wind viel zu stark ist. Schade, es wäre eine tolle Option gewesen.

Wir reisen nun weiter nach Akaroa, dass auf einer Halbinsel östlich von Christchurch liegt. Auf der Wiese eines Farmhostels übernachten wir mit Blick von oben über die Bucht, die einst ein Vulkankrater war.

Mit Guide machen wir eine Seekajaktour in der Flea Bay und sehen einen Gelbaugenpinguin, blaue Pinguine (die kleinsten der Welt), zahlreiche Seehunde mit vielen Heuler und einmal tauchen vier Meter vor unserem Boot zwei Hektordelphine auf und tauchen leider auf Nimmerwiedersehn ab.

Weiter geht es in Richtung Mount Cook und Lake Pukaki. Wir campen wild auf der Ostseite des Sees. Ein kräftiger Wind weht, Wolken verhüllen den Gipfel des höchsten Bergs Neuseelands. Das türkisfarbene Wasser erscheint so irreal, dass man denken könnte, die Fotos sind mit einem Fotoprogramm bearbeitet worden.

Vor 13 Jahren waren wir das erste Mal bei den Kiwis. Der Tourismus hat sich verändert und ist immens gewachsen. Früher gab es wenige Wohnmobile und der Tourist nächtigte in Hotels, Motels, Backpackers und auf Campingplätzen. Nun sehen wir Heerscharen von Wohnmobilen, Campervans und Sleepervans in allen Größen. Ich erinnere mich, dass wir 2003 in einer Jugendherberge ein koreanisches Paar trafen, das morgens seinen Reis neben uns kochte, während wir unser Müsli zubereiteten. Ansonsten sahen wir fast nur westliche Touristen. Auffällig ist, dass sowohl der Wohlstand als auch die Reiselust in Asien zu nimmt. Deutlich wird mir dieses auf einer öffentlichen Toilette in Twizel. In Sitzhöhe werden die wichtigsten Verkehrsregeln und -gefahren kurz und bündig in Englisch, Japanisch, Koreanisch, Indisch, Philippinisch und Chinesisch aufgelistet (nicht rechts fahren, nicht in Kurven halten etc.). Die Warnung ist leider nicht unbegründet, da es häufig zu Unfälle mit Beteiligung von Touristen kommt.


In Dunedin bleiben wir für drei Nächte. Die Stadt hat schottisches Flair und schöne alte Bauten. Auch befindet sich hier die steilste Wohnstraße der Welt hier. Im oberen Teil hat sie 35 % Steigung; da wirkt der Waseberg in Blankenese mit seinen 16 % fast wie ein Flachstück. Die Stadt ist eingebettet zwischen Hügeln und der ca. 30 Kilometer langen Otago Peninsula, durch die wir einen ganzen Tag streifen. Wir sehen Seelöwen, Albatrosse und genießen die wilden Stränden und Buchten der Halbinsel.

Wibke, die Schwester von meiner Kollegin Almut lebt seit 16 Jahren in Neuseeland und wir sind zum Abendessen bei ihr und ihrem Freund Glen eingeladen. Bruscetti, Risotto und Rharbarbar-Tarte begleiten interessante Gespräche über Reisen, Auswandern und Leben in einem fremden Land.

Wir fahren ins Fiordland, eine der regenreichsten Gegenden der Welt. Auf der Ostseite der Berge fallen im Jahr zwischen 2 bis 4 m Regen, auf der Westseite 7-9 m (Hamburg: 0,78m pro Jahr)! Unsere zwei Wetter-Apps und der meteorologische Dienst sagen gutes Wetter voraus und so buchen wir eine zweitägige Kajaktour mit Übernachtung im Doubtful Sound. Der Milfordsound liegt 150 Kilometer weiter nördlich, wurde schon als achtes Weltwunder bezeichnet und ist überlaufen, da er über eine Straße zu erreichen ist.

Der Doubtful Sound ist dreimal so lang und zehnmal so groß wie der Milford Sound, aber wegen seiner umständlichen Anreise noch nicht so überflutet. Erst fahren wir mit einer Fähre für eine Stunde über einen See. Ein großes Wasserkraftwerk wurde in den 70er Jahren am Westende des Sees gebaut. Von dort stürzt das Wasser durch 6 Röhren lange senkrecht und unterirdisch 170 Meter in die Tiefe und fließt danach durch 10 km lange Röhren ins Meer. Die Verbindungsstraße zwischen Kraftwerk und Meer führt über einen Pass. Nach 22 Kilometer Busfahrt endet die Straße am Meer und unsere Kajaktour beginnt. Zu Sechst mit John und Sim als guide fahren wir gut ausgestattet durch die Fiorde und übernachten wild. Wir erleben blutrünstige Sandfliegen sehen unzählige Wasserfälle, Pinguine im Wasser und am zweiten Tag sogar noch Delfine. Einer taucht direkt unter unserem Kajakheck hindurch.


Eine Nacht verbringen wir im Milford Sound und fahren dann nach Invercargill. Die Stadt wirkt ein wenig leer und hat wenig Flair. Offensichtlich gibt es mehr Autos als Fussgänger. Unser Backpacker ist ein viktorianisches Gebäude mit Superküche und einem Esszimmertisch. Zentrale Orte in Unterkünfte haben den Vorteil, dass Menschen ins Gespräch kommen. Wir unterhalten uns u.a. mit einem jungen, langhaarigen Briten, der ein Iron-Maiden-T-Shirt trägt. Passt eigentlich so gar nicht zu uns und normalerweise würde man sich nicht miteinander unterhalten, aber ein gemeinsamer Esstisch verbindet und verändert den ersten Eindruck. Unser Brite hat Geschichte studiert und wird demnächst zu Freunden nach Freiburg ziehen. Und schon ist ein ganzer Abend rum, in dem man über Wacken, SC-Freiburg, die Bundesliga und Biersorten philosophiert.


 Wir packen jeder das Nötigste in den Rucksack und nehmen den Katamaran auf die drittgrößte Insel Neuseelands. Nach Nord- und Südinsel ist dieses Stewart Island. Die Insel ist verschlafen und für seine Vogelwelt bekannt. Insbesondere auf der kleinen Nachbarinsel Ulva Island, die absolut Säugetierfrei ist, gibt es Kiwi, Weka und andere Vögel. Weder Ratten noch Possum können den flugunfähigen Vögel gefährlich werden. Wir erleben auf einer 2,5 Stunden Wanderung Weka und Robins, die sich uns annähern und gerne unseren Rucksack inspizieren. Auf dem Rückweg machen wir noch einen kleinen Schlenker, bevor wir unser bestelltes Wassertaxi treffen, und plötzlich steht Simone aus unserem Kajakverein vor uns. Nicht am Ende der Welt, nein an der Insel hinter dem Ende der Welt treffen wir auf einem Nebenpfad eine Bekannte. Die kosmopolitische Aussage stimmt: Die Erde ist ein Dorf.

Letzter Ort vor der Antarktis

Die nächsten Tage streifen wir durch die lieblichen Catlins mit sanften Hügeln, Wäldern, Sandstränden und Steilküsten.

Am ersten Abend stellen wir uns an einen Wildcampingplatz. Schnell kommen wir mit unseren Nachbarn, die den Sonnenuntergang betrachten ins Gespräch. Catina und Jan sind seit November unterwegs. Erst ein paar Monate Asien und jetzt Neuseeland. Reise-Parallelen zwischen uns sind eindeutig da. Außerdem ist Jan in Siegburg zur Schule gegangen, wo ich auch gut zwei Jahre das Gymnasium besucht habe. Und um die Parallelität noch komplett zu machen: Beide wohnen in Hamburg.

Am nächsten Tag stehen wir in der Curio Bay hüfttief im 13 Grad kalten Wasser, gelegentlich kühlt eine Welle den Brustkorb, aber das stört nicht. Um uns schwimmen Hektordelfine, die kleinste Delfinart der Welt. Sie surfen in den Wellen und tauchen mit wenig Abstand an uns vorbei. Zwei kommen auf uns direkt zu und ändern kurz vor uns minimal die Richtung; dabei passieren sie Ruth mit einer Handbreit Abstand. Gelegentlich springen sie aus den Wellen. Fasziniert und glückselig stehen wir in den Wellen. Das sind die Momente, die du für kein Geld der Welt kaufen kannst.

Abends sitzen wir zweieinhalb Stunden am Nachbarstrand und warten auf Gelbaugenpinguine. Irgendwann sind es 50 Touristen, die auf den Felsen sitzen und warten. Schließlich kommt ein einziger Pinguin. Sein Kopf blickt langsam von links nach rechts über den Strand, als mustere er sein Publikum. Dann säubert er sein Gefieder und ignoriert uns.

Weiter begegnen uns in den Catlins diverse Seelöwen. Schwerfällige, stattliche Meeresbewohner, die sich am Strand dem Faulenzen und der Körperpflege widmen.