Zwischen iphone und Ochsenkarren - Aufbruchsstimmung im Land der goldenen Pagoden

 

Hinter unserer ersten Tür im virtuellen Adventskalender finden wir ein Flugticket von Phuket über Bangkok nach Myanmar. Damit steht das Programm für den 1.Dezember. Im Landeanflug gleitet unser Flieger über Felder und Dörfer hinweg. Aus der grünen Ebene ragen viele einzelne Pagoden hervor.


Irrationalitäten im Straßenverkehr und die rasante Entwicklung des Landes

 

Vom Flughafen Yangon geht es mit dem Taxi über Haupt-verkehrsstraßen, die auf den ersten Kilometern innerhalb der Stadt keine Lampenbeleuchtung haben, stadteinwärts. Die Autoscheinwerfer sorgen in dem stockenden Verkehr für die Beleuchtung. Überrascht stellen wir fest, dass hier Rechts-verkehr wie in Deutschland herrscht, allerdings sind die Lenkräder auf der rechten Seite angebracht. Bis 1970 gab es Linksverkehr, dann wurde von heute auf morgen umgestellt. Es gibt verschiedene Thesen, weshalb der damalige Macht- haber dieses veranlasste. Eine lautet, dass ein Wahrsager, dem Machthaber ein besseres Karma prophezeite, wenn er das Land von links auf rechts umschalte. Eine andere These ist, dass dem Machthaber geweissagt wurde, er würde auf der linken Straßenseite ums Leben kommen. Logo, dann müssen alle auf Geheiß des Regimes ab morgen rechts fahren.

Bis 2011 gab es fast nur Mopeds und Roller. Autos waren wegen sehr hoher Zölle nur für Reiche, Militärs und Politiker, was in der Regel deckungsgleich ist, bestimmt. Auf Grund internationaler Sanktionen und politischem Druck aus dem Ausland senkte das Militärregime die Zölle für Autos erheblich. Als weiteres wurden in der größten Stadt des Landes Yangon (5 Millionen Einwohner) das Fahren von Mopeds verboten. Und innerhalb von vier Jahren sind die Straßen in Yangon mit Autos so vollgestopft, dass Stau der Normalstatus ist. Allerdings erklärt unser Hotelbesitzer, dass nur Mittelklasse-Familien sich ein Auto leisten können. Die Mehrheit der Yangoner bewegt sich in alten, vollgepropften Bussen fort, die wir zuhauf sehen.

Mit der Öffnung des Landes ab 2011 drängten viele internationale Firmen in den neuen Markt. In den Jahren 2013 und 2014 haben die deutschen Premium-Autohersteller Showrooms und Filialen errichtet. Den Glastempel des Münchener Hersteller, in dem vorallem hochglänzende SUV posieren, passieren wir. Ein harter Gegensatz zwischen dem automobilen Prunk hinter der Glaswand und der schmutzigen Realität auf der Straße davor.

Während wir im Stau stehen, läuft rechts an einer Hauswand eine LED-Werbung von einem Geldwechselinstitut auf Englisch. Unser Taxifahrer schnappt sich sein Smartphone, öffnet eine App und tippt das Wort „authorized“ ein und schon erhält er die burmesische Übersetzung. Eine elegante Variante seinen Wortschatz im Stau zu erweitern.

Überhaupt Internet und Mobilphone, ein weiteres beachtliches Thema: 2010 hatten lediglich 0,8% der Bevölkerung Zugang zum Internet. 2012 hatten 9 % ein Mobilphone. Die SIM-Karten waren jahrelang extrem teuer und für den größten Teil der Bevölkerung nicht bezahlbar. Inzwischen kostet eine SIM-Karte einen Euro. Jetzt rennt annährend jeder mit einem Smartphone rum.


Die Hoffnung des alten Mannes auf Veränderung nach Wahlerfolg der Opposition

 

Am zweiten Tag in Yangon fahren wir mit dem Nahverkehrszug zum Hauptbahnhof.

Während in den thailändischen Orten, die wir besucht haben, viele Touristen zu sehen sind, sind wir hier eine Rarität. In unserem Stadtteil haben wir lediglich zweimal in drei Tagen einen anderen westlich aussehenden Menschen gesehen. Auch im bummelnden Zug sind wir die einzigen „Westler“. Ein alter Mann winkt mich heran und fragt mich nach meiner Herkunft. Er ist 70 Jahre alt und arbeitet als Englischlehrer an der Universität. Bei ihm sitzen eine Studentin und ein Student, mit denen er in der Stadt Bücher kaufen will. Auch sitzt ein Polizist in der Sitzgruppe. Der Lehrer sagt, er mag die Militärregierung nicht. Alle hoffen auf Anfang März im nächsten Jahr, wenn die neue Regierung das Militärregime ablöst. Anfang November hatte „Die Nationale Liga für Demokratie (NLD)“ von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi die Parlamentswahl gewonnen.

Die Anwesenheit des Polizisten stört den Lehrer nicht. Noch vor kurzem wäre so eine öffentliche Aussage gefährlich geworden.

Auch der Besitzer unseres Hotels spricht offen über seine Hoffnung auf Gerechtigkeit und bessere Lebensbedinungen.

Der Tourismus wird zukünftig sicher eine weiter wachsende Rolle als Einnahmequelle und für die Schaffung von Arbeitsplätze haben. Innerhalb der letzten drei Jahre hat sich die Zahl der Touristen verdreifacht.


X-MAS a la Buddha

 

Die Stadt erinnert uns an Indien, das wir vor 25 Jahren bereist haben. Ein lebhaftes Gewussel und Treiben auf den Straßen und in den Gassen. Viele Menschen sind unterwegs. Direkt am Straßenrand wird vieles verkauft. Es kämpfen sich Fahrrad-rikschas durch den endlos hupenden Verkehr. Staub, Dreck und Müll bedecken die Straßen und Wege. Müll wird an verschiedenen Stellen gesammelt und teils verbrannt. Von Wohlduft kann man nicht sprechen, so dass wir uns zwischendrin erstmal in einem Cafe erholen. Das Kauen von Betelnüssen ist ebenfalls weit verbreitet und somit gehört das unappettitliche Ausspucken der rötlichen Flüssigkeit an jeglichen Stellen – sehr zu Ruths Leidwesen – zum täglichen Leben.

Verwundert entdecken wir in der Innenstadt Weihnachtsbäume mit LED-Lichtern und es wird Weihnachtsdekoration zum Kauf angeboten. Auch treffen wir im Laufe unserer Reise auf viele im Vergleich zu Deutschland sehr bunt geschmückte Weihnachtsbäume. Der „Gebrauchsanweisung für Myanmar“ entnehmen wir, dass die Burmesen dieses Relikt aus der britischen Kolonialzeit beibehalten haben und der Erste Weihnachstag offizieller Feiertag in Myanmar ist.

Buddhisten sind eindeutig flexibel.


Gold, Gold, Gold

 

Das Wahrzeichen des Landes und zugleich die Haupattraktion Yangon ist die ca. 100 m hohe Shwegadon-Pagode. Sie liegt auf einem Hügel und soll 2500 Jahre alt sein.

Sie ist mit 13.153 Goldplatten und Blattgold bedeckt. Das Gesamtgewicht beträgt 149 t, davon 9,75 t Gold. Damit soll sie die größte Goldansammlung der Welt sein (abgesehen von den Goldreserven verschiedener Nationen). Der obere Teil ist noch mit Tausenden Diamanten, Rubinen und Saphiren verziert.

Bei Sonnenuntergang betrachten wir, wie die Goldfarbe dunkler wird und schauen den Mönchen und Burmesen bei ihrem religiösen Treiben zu. Es wird in den verschiedenen Tempeln meditiert, Rituale werden durchgeführt und Opfergaben dargereicht.

 

Am nächsten Morgen brechen wir um 5.00 Uhr auf. Dank des Taxis und um diese Zeit nicht vorhandener Staus stehen wir zwanzig Minuten später auf der Plattform. Außer uns sind keine Touristen da, aber Mönche und Einheimische sind schon aktiv. Wir beobachten, wie die aufgehende Sonne die Pagode anstrahlt und verfolgen wie am Vortag das Geschehen.

 

Die große Pagode und die kleinen Stupas sind – um es mit Jogi Löws Lieblingswort zu sagen – „absolut“ großartige Bauwerke, doch uns magnetisiert viel mehr die Athmosphäre an diesem Ort. Hier tobt das Leben auf eine ruhige Art: Während die einen andächtig beten, laufen Kinder umher und einzelne von ihnen schlagen gelegentlich mit einem Holzklöppel gegen eine Glocke, so dass der tiefe Ton über den Platz schwingt. Während die einen Kerzen anzünden und Blumen als Opfergabe hinlegen, picknicken andere dezent. Für jeden Wochentag gibt es eine Buddhafigur. Gläubige suchen den Buddha ihres Geburtswochentag auf und übergießen diesen fünfmal mit geweihten Wasser, weil dieses Glück bringt.

Und mittendrin zieht in aller Ruhe eine Putzkolonne ihre besenschwingende Bahnen.

 

Kein Wunder, dass wir diesen faszinierenden Ort erst Stunden später verlassen.


Flughafenromantik

 

Wir verlassen die 5-Millionenstadt, um das 4000-Seelendorf Nyaungshwe zu besuchen.

Das Terminal für Inlandsflüge erinnert uns auch an unsere früher Zeit in Indien.

Keine Displays, handschriftliche Boardingscard und das Gepack wird auf nostalgischen Waagen gewogen. Unsere Propellermaschine müsste eigentich Air-Bus im wahrsten Sinne des Wortes genannt werden. Er fliegt hintereinander vier Flughäfen an; an jedem steigen Fluggäste aus und andere ein. Jeder Fluggast wird ein Button mit dem Ziel auf die Brust geklebt. Für jede der vier Stationen gibt es eine andere Farbe, auch das Gepack erhält entsprechende Anstecker, damit das Personal es an der richtigen Bushaltestelle rausholt.

Ich gönne mir noch einen Cappucino, der genauso viel kostet wie die 10 km Taxifahrt zum Flughafen. Eine eigentümliche Wertigkeit. Auch bei anderen Dingen sind wir überrascht. Sowohl das Leihen eines Fahrrades für einen Tag als auch ein einziges Wäschestück waschen zu lassen kosten einen Euro.

Wir landen bei Regen und 17 Grad. Beim Aussteigen am kleinen Flughafen bekommt jeder am Flugzeug einen Regenschirm gereicht, um geschützt zum Terminal zu gelangen. Dort wird auch direkt das Gepäck ausgehändigt.


Tage am Inle-See: Fahrrad, Ein-Bein-Ruderer und Weine

 

Der Ort Nyaungshwe ist durch einen Kanal mit dem Inle-See, der bekannt für seine schwimmenden Gärten und die Ein-Bein-Ruderer ist, verbunden. Wir befinden uns auf 1000 m Höhe; entsprechend sind die Temperaturen nachts 9 Grad, tagsüber 20 Grad. Erstmalig auf unserer Reise wenden wir das 4-lagige Zwiebelprinzip an. Bis Mittag pellen wir uns auf eine Lage runter. Mit Fahrrad fahren wir unterhalb der Bergkette des Westufer durch Dörfer und an kleinen Pagoden vorbei. Mit einem Boot setzen wir und unsere beiden Fahrräder auf die Ostseite des Sees über. Wir fahren an den schwimmenden Gärten vorbei. Die Intha (übersetzt: die,die am See wohnen) stellen auf Grundlage von Wasserhyazinthen, Schlamm und Erde schwimmende Beete her. Bis diese bepflanzt werden können, vergehen fünf Jahre. Dann ziehen die Intha die Beete zu ihren Pfahldörfern und pflanzen Tomaten, Kohl, Bohnen, Knoblauch und Ingwer an.

Auf dem See, der etwas größer als die Müritz ist, fischen die Ein-Bein-Ruderer. Das Ruder bedienen sie mit einem Bein. So haben sie noch beide Hände zum Auswerfen des Netzes frei. Ein bemerkenswerter Balance-Akt.

Am Ostufer fahren wir Richtung Norden und machen Halt an einem Weingut. Mit Blick über den See, die Berge und das Tal verkosten wir Sauvignon blanc, Muskadet, und Shiraz-Tempranillo. Das Bouquet verspricht viel, das Erlebnis am Gaumen enttäuscht. Da wünscht man sich nach Südafrika zurück.

Das Leben in den Gassen von Nyaungshwe ist geschäftig und gleichzeitig entspannt. Die Athmosphäre, die Häuser und die Umgebung ähneln ein wenig Nepal, dass wir ebenfalls vor 25 Jahren besucht haben. (schrecklich: je älter man wird, um so mehr redet man von früher; positiv könnte man auch von Lebenserfahrung und -erlebnissen sprechen).

Gemeinsam mit Son, einem Studenten aus Seoul, Haka, der 40 Jahre bei Toyota in Tokio gearbeitet hat und mit Sara und Min aus Paris mieten wir ein Boot. Unser Bootsführer bringt uns zu einem Dorfmarkt am See, auf dem die Bergbevölkerung ihre Produkte verkauft (z.B. Feuerholz) und die Seebevölkerung ihre Fische und Gemüse. Oberhalb liegt eine Pagode, die wenig besucht ist. An den Stupa-Spitzen sind Glocken, die im Wind bimmeln. Im Hintergrund liegt das Tal mit dem See und die Berge. Eine morbide friedliche Stimmung. Wir besuchen noch zwei weitere Pagoden an diesem Tag, aber diese abseits des Pilgerer- und Touristenrummels gefällt uns mit Abstand am Besten.

In den Seedörfern gibt es viele Gewerke. So schauen wir den Weberinnen bei der Herstellung von Lotus- und Seidenstoffen, den Silberschmieden, den Zigarrenwicklerinnen und Papierschöpferinnen über die Schulter. Natürlich werden wir neben den Werkstätten auch durch die Verkaufsräume geleitet.

Im Sonnenuntergang geht es an den Ein-Bein-Ruderern vorbei heimwärts. Mal wieder Romantik pur.


 Nostalgische Idylle versus Moderne

 

Mit dem Minibus brechen wir nach Mandalay auf, der mit 2 Millionen Einwohnern zweitgrößten Stadt des Landes. Würden die einfachen Holzhütten und die weiß-goldenen Pagoden durch das ein oder andere Castello ersetzt werden, könnte man meinen, wir bereisen die Toskana. Es fehlen dann nur noch die Zypressen, die die Hügel säumen.

 

Bilderbuchmäßig ernten Frauen und Männer mit ihren runden Hüten Kohl und Getreide. Bündelweise wird das Getreide von Hand geschlagen, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Ochsenkarren sind ein verbreitetes Transportmittel. Öfters passieren wir Baustellen, auf denen der Schotter mit kleinen Bastkörbe von vielen Männern und Frauen geschleppt wird. Teer wird in alten Ölfässern über Feuer heiß gehalten.

Das ist das ursprüngliche, idyllische Myanmar, wie es in Reisekatalogen gerade stark beworben wird, als ob das Land ein riesiges Freilichtmuseum wäre. Auch wir hatten uns für Myanmar als Reiseland wegen seiner Landschaften, Kulturen und Menschen entschieden, weil es vorm großen Umbruch steht und noch nicht von westlichem Konsumwahn und Tourismus gänzlich überflutet ist. Doch längst ist das Land schon aufgebrochen. Wo noch nicht real, so dochdort in den Köpfen.

 

Man muss sich drüber im Klaren sein, Myanmar ist kein Schwellen- sondern ein Entwicklungsland mit viel Armut und einem fehlenden Sozial- und Gesundheitssystem.

Die Neuwagen können nicht darüber hinweg täuschen, dass viele Menschen in einfachen Hütten ohne Wasser wohnen. Wir sehen Familen, die am vielbefahrenen Straßenrand in einfachsten Unterständen leben, die notdürftig mit einer Plane gegen Sonne und Regen geschützt sind.

Logo, die CO2-Bilanz der myanmarischen Bevölkerung ist besser als die europäische. Der händische Straßenbau und die Landwirtschaft schaffen viele, schlecht bezahlte Jobs. Aber allein aus gesundheitlichen – insbesondere orthopädischen – Gründen wären Bagger, Trecker und weitere Baumaschinen für die Bauern und Straßenarbeiter von Vorteil. Warum sollen sie nicht auch so wie wir technisches Equipment oder Fahrzeuge anschaffen? Für das Klima ist das perspektivisch desaströs. Von unserem hohen westlichen Standard-Ross läßt sich leicht daher reden. Während wir oft im Überfluss leben, ist dieses hier ein Fremdwort.

Fortschritt ist ein Dilemma.

Tiziano Terzani, der ein Vierteljahrhundert Asienkorrespondent des Spiegels war, schlussfolgerte bereits vor 20 Jahren: “Materiaistische Moderne und in der Tradition wurzelnde Lebensweisen führen überall in Asien zu unauflöslichen Widersprüchen und Spannungen.“ Er kritisierte, dass früher die Menschen abends zusammensaßen und sich austauschten und dann mit Einzug der Marktwirtschaft neue Bedürfnisse erzeugt wurden. Der Fernsehers reduzierte die zwischenmenschliche Kommunikation erheblich. Heutzutage verstärken Internet und smartphone diesen Effekt. Doch warum sollen die Menschen hier nicht den gleichen Wohlstand haben wie wir?

Auch wir rennen doch oft den neuesten Trends hinterher. Annähernd jeder hat ein Handy und Internetzugang. Sind wir nicht auch ständig gefährdet, uns mit medialer Ablenkung und Neuanschaffungen zu betäuben statt bewusst zu konsumieren?

Manche in Myanmar scheinen den Spagat zwischen Tradtion und Moderne zu schaffen: Im Bus neben mir sitzt eine Frau, die ein Büchlein rausholt und während der Fahrt Gebete leise spricht. Immer wenn wir eine Pagode passieren, faltet sie ihre Hände und nickt mit dem Kopf respektvoll. Anschließend zückt sie ihr Smartphone, dessen Hintergrundbild aus dem giftgrünen Schriftzug eines monströsen Energy-Trinks besteht, und checkt ihren Facebook-account.

Mit uns im Bus ist eine vierköpfige burmesische Familie. Die Mutter ißt Chips und Snacks. Die Tüten werden auf offener Strecke durchs Fenster entsorgt. Wahrlich befremdlich für uns. Vermutlich wurde auch in der Vergangenheit der Müll so entsorgt. Allerdings kompostierte er sich meist selber (wie z. B. Bananenblätter oder Papier) im Gegensatz zum heutigen Plastik und Metall.


Britische Sommerfrische

 

Zu Kolonialzeiten sind die britischen Verwaltungsbeamten vor der Hitze gerne in das 1100 m hoch gelegene Pyin U Lwin gereist. Den langen Aufstieg kämpft sich unser Taxi hoch. Oben angekommen, parkt der Fahrer vor einem Restaurant und öffnet die Motorhaube seines Nissans. Er greift zu einem Gartenschlauch und gießt Wasser über den Kühler und Batterie. Auch der Sicherungskasten bekommt eine Dusche ab. Dann steckt der Fahrer den Schlauch durch den Kühlergrill, während er selber für eine Viertelstunde im Restaurant verschwindet.

Das Bergstädtchen Pyin U Lwin ist überraschend sauber; wir treffen sogar auf eine orange 240l-Haushaltsmülltonne made in Germany.

Wir flanieren durch den wunderschönen Botanischen Garten, der während des Ersten Weltkrieg durch 4000 türkische Kriegsgefangene angelegt wurde. Viele Familien picknicken, eine Rockband spielt auf einer Bühne. An einer anderen Ecke führt eine Gruppe Volkstänze vor. Der Park könnte jeder Bundesgartenschau Konkurrenz machen.

In der Nähe der Stadt gibt es einen sechsstufigen Wasserfall. Die höchste Stufe geht über 210 m. Nicht so beeindruckend, wie die Victoria falls, aber immerhin. Über einen steilen Weg steigen wir zu seinem unteren Becken hinab und kämpfen uns anschließend 400 m mühsam wieder hoch.


Nicht alles ist Gold, was glänzt

 

Wie bereits in Afrika beschäftigt uns auch in Asien die Begegnungen mit den uns fremden Kulturen. Sie hinterfragen uns und unsere Wertvorstellungen. Dieses ist ja auch ein Sinn des Reisens.

Ruth und ich diskutieren viel über das, was wir erleben und wahrnehmen, aber nehmen uns auch die Freiheit, Werte und Handlungen in dem jeweiligen Land, das wir gerade bereisen, kritisch zu betrachten.

 

In Mandalay besuchen wir eine katholische Hilforganisation, die sich in verschiedenen Projekten um Straßenkinder und benachteiligte Jungen kümmert. Für Schulabbrecher werden dreimonatige Ausbildungskurse in den Bereichen Elektro-, Mopedreparatur, Bäckerei, Autofahren angeboten.

Des Weiteren betreibt die Einrichtung ein Auffangheim für Straßenkinder. Der Leiter macht mit uns einem Rundgang und wir erhalten einen kleinen Einblick in die Arbeit mit den Jungen im Alter von 7 bis 20 Jahre.

Für das tägliche Essen ist gesorgt, der Tagesablauf ist stark strukturiert. Wir sehen die kleinen Schulungsräume und werfen einen Blick in einen Schlafraum, in dem 30 Jungen auf ihren Matratzen auf dem Boden schlafen.

Vom Leiter erfahren wir, dass die Hälfte aller Straßenkinder von Mandalay im Gefängnis sitzt. Die meisten sitzen wegen Bettelns ein, das verboten ist und mit einem Jahr Haft bestraft wird.

Das Militärregime will nicht, dass Touristen durch bettelnde Menschen belästigt werden. Die Einrichtung hat mit der Regierung vereinbaren können, dass sie die Jugendlichen im Gefängnis qualifizieren darf.

Als ob Armut nicht Strafe genug ist, werden Kinder dafür noch mit Gefängnis bestraft. Die meisten Kinder in Myanmar gehen nur vier Jahre zur Schule, weil sie dann ihrer Familie helfen müssen. Was für ein Gegensatz: Gold ist überall im Land sichtbar und gleichzeitig viel Armut.

Viele Eltern schicken ihre Söhne in Klöster. Zum einen weil es gut für das Karma ist, zum anderen weil sie dort eine kostenlose Mahlzeit und Bildung bekommen.

Auf unsere Frage, was er sich an Verbesserungen von der kommenden Regierung verspricht, antwortet der Leiter „education“, was im Englischen sowohl Bildung als auch Erziehung meint.

Das kann man nur hoffen und dass so eine Idiotie, wie Gefängnisstrafe für bettelnde Kinder abgeschafft wird.

Der Buddhismus ist eine sehr friedliche Religion. Im Zentrum steht wie der Einzelne sein Seelenheil erlangen kann. Gier und Hass gilt es als wesentliche Ursachen von Leiden zu überwinden. Der Edle Achtfache Pfad zeigt den rechten Weg dorthin auf.

 

Für unser christlich humanistisches Menschenbild ist der Buddhismus an einigen Punkten auch befremdlich. Außer der Bildung von Jungen in Klöster und vereinzelten Waisenhäusern nehmen wir kaum soziale Verantwortung wahr. Die buddhistische Lehre sieht die Ursache für Krankheit, soziale Benachteiligung, Schicksale oder auch Behinderung in einem schlechten Karma aus einem vorherigen Leben.

Nicht von ungefähr kommt es scheinbar, dass sich um die Straßenkinder und die benachteiligten Jugendlichen keine buddhistische Einrichtung sondern eine katholische kümmert und das in einem Land dessen Bevölkerung zu 90 % aus Buddhisten besteht.

Unseren Japaner Haka von der Bootstour auf dem Inle-See befremdet der myanmarische Buddhismus. Die Menschen spenden Geld oder kleben Blattgold auf die Buddhastatuen, um ein gutes Karma zu haben. Im japanischen Buddhismus muss man nicht spenden. Es würde sogar reichen, einmal im Leben Buddha um ein gutes Karma und Leben zu bitten, meint Haka. Interessanter Gedanke. Das eine erinnert an den mittelalterlichen Ablasshandel, das andere an eine einmal abgeschlossene Risikolebensversicherung.

Wenn man die Rolle der Frau betrachtet, ähnelt der Buddhismus dem Katholizismus. Oft dürfen nur Männer sich bestimmten Buddhastatuen nähern und auch nur Männer dürfen Blattgold aufkleben. Auch die Nonnen stehen in der Rangordnung hinter ihren männlichen Kollegen.


Mit Zaw Zaw durch seine Heimatstadt

 

Der Taxifahrer Zaw Zaw hatte uns an einem Abend vom Restaurant zu unserem Guesthouse gefahren. Er bot  an, uns an einen anderen Tag die Umgebung von Mandalay zu zeigen. Da er uns symphatisch war und gut Englisch spricht, rufen wir ihn an. Wir besuchen ein Kloster, mehrere Pagoden, die berühmte U-Bein-Brücke und alte Königsstädte. Er zeigt uns wie Blattgold hergestellt wird. Er selber ist vier Jahre zur Schule gegangen, dann musste er Geld für die Familie mitverdienen. Für ein Jahr ging er als Neunjähriger wie fast jeder Junge ins Kloster, um in die buddhistische Lehre unterwiesen zu werden. Beruflich war er erst Fahrradrikschafahrer, dann führ er Motortaxi und nun kutschiert er seine Gäste in einer Toyota-Limousine durch Mandalay. Englisch hat ihm ein Freund beigebracht.

Auch setzt er uns vor einer Kloster-Schule ab. Wir gehen auf den Schulhof, auf dem viele Kinder in der Pause spielen. Eine junge Lehrerin tritt auf uns zu und wir tauschen uns aus. Vor zwölf Jahren wurde die Schule von einem Mönch gegründet und sie startete mit 20 Waisenkindern. Inzwischen kommen viele Kinder aus der Umgebung und es werden über 2.500 Schüler unterrichtet. Die Schule lebt in erster Linie von Spenden.

 

In Thailand erzählte uns jemand, dass Menschen mit Behinderung zuhause versteckt werden, da ihre Behinderung ja im schlechten Karma aus ihrem vorherigen Leben begründet ist.

Auch in Myanmar sind Menschen mit Behinderung in der Öffentlichkeit nicht sichtbar.

Für uns, die wir viele faszinierende Persönlichkeiten mit Behinderung kennen und diese Menschen beruflich unterstützen und ermutigen, ihren eigenen Weg selbstbestimmt zu finden und zu gehen, eine inakzeptable Sichtweise.

Um so mehr freut es uns, als wir im Botanischen Garten von Pyin U Lwin auf der großen bevölkerten Wiese sitzen und ein Vater mit seinem behinderten Sohn an der Hand selbstverständlich durch die Menschenmenge spaziert.